Birgitt Becker, Auslandsreferentin von AIPi (Ass.ne Italiana Progettisti in Architettura d’Interni) hat anlässlich des Vorstandstreffens von ECIA (European Council Interior Architects) in Dublin (Irland) am 17. Juni 2006 das nachstehende Manifest "form and function follows sustainability" vorgestellt:


Form and function follows sustainability(1)


Der Begriff des modernen Design entwickelte sich in England im 19. Jahrhundert anlässlich der Weltausstellung 1851 in London und hat sich seit diesem Zeitpunkt bis heute nahezu für alle kreativen Bereiche etabliert. Wir sprechen inzwischen vom Mode-, Innenarchitektur- und Architekturdesign, dem Design des Produktes, der Urbanistik bis hin zur visuellen Kommunikation.


Während im 19. Jahrhundert der Maschineneinsatz und die aufkommende Massenproduktion dafür verantwortlich gemacht wurde, den Geschmack der Menschen zu verderben(2), haben seit der Industrialisierung, der Post-Bauhausepoche bis zum heutigen Zeitpunkt kreative und technische Aktionen für Gebäude, Häuser und die alltäglichen Gebrauchsgegenstände dazu beigetragen, das inzwischen abgemagerte Umweltlimit weiterhin reduzieren.


In der Vergangenheit hatte Maßhalten bezüglich kreativen Schaffens einen rein ästhetischen Stellenwert. Mit seinem Zitat "less is more" appellierte Mies van der Rohe zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts an die Idee des Minimalismus.(3) Inzwischen ist sein Leitziel des Maßhaltens hochaktuell, diesmal nicht nur aus ästhetischen Motiven sondern auch infolge von Ressourcen- und Materialknappheit.


Durch Naturgesetze sind wir im dritten Jahrtausend gezwungen, in unsere Konzepte neue Ansätze und Logiken, beispielsweise der sozialen Relevanz, des umwelt- und menschschädlichen Chemie-einsatzes, der Entsorgung oder der Wiederverwertung zu berücksichtigen. Das wird zukünftig das Thema der Architektur- und Designtheorie beeinflussen.


Das dritte Jahrtausend mit neuen Herausforderungen für das Berufsbild der Innenarchitekten


Nach der ersten Schutzhülle des Menschen, unserer Kleidung, folgt die den Menschen umgebende zweite Schutzhülle, unsere Innenräume und damit unsere nächste Umgebung. Es folgt die Struktur, der nach außen gerichtete architektonische Bau.


Zum Berufsbild der Innenarchitekt/innen gehört die Planung, Gestaltung und das Realisieren von Innenräumen im architektonischen Kontext, in dem das physische, psychische und soziale Wohlbefinden der Menschen im Raum gewährleistet sein sollte. Zwischenzeitlich sind wir jedoch im privaten sowie im öffentlichen Raum Schädigungen durch zahllose Fremdkörper (Wohngifte, Mikroorganismen, radioaktive Strahlen, elektrische und magnetische Felder etc.) scheinbar hilflos ausgesetzt, die zu den immer häufiger zur Diskussion stehenden indoor-Krankheiten beitragen.(4)


Diese Krankheiten mit ihren unsichtbaren Vergiftungen werden von Wissenschaftlern inzwischen als besorgniserregender eingestuft als die outdoor Belastungen, da wir bis zu 90 % in Innenräumen (Wohnung, Schule, Arbeitsplatz, öffentliche Transportmittel ...) verbringen.(5)


Außerhalb von Innenräumen sind Menschen tagtäglich unterschiedlichsten Belastungen exponiert, deren Anhäufung und Wechselwirkung nicht kalkulierbar ist und in vielen Bereichen lässt sich diese Belastung nicht vermeiden, wohl aber in Innenräumen, die das gute oder schlechte Gelingen unserer nächsten Umgebung bestimmen.


Die letzten Jahrzehnte haben bei Produkten des Bau- und Einrichtungssektors viele Neuerungen gebracht, die als große Innovationen und Fortschritte gefeiert wurden, sich im Nachhinein jedoch für Mensch und Ökosysteme als schwerwiegende Fehler erwiesen haben: Raubbau an nicht erneuerbaren Rohstoffen, fortschreitender Verlust der Ozonschutzschicht unserer Erde, kostspielige medizinische Kuren für Menschen und Sanierungen von Gebäuden infolge des Einsatzes von asbesthaltigen Materialien, Schwermetallen und Pestiziden, gefährlichen Holzschutz-mitteln, die Chemikalien wie Pentachlorphenol (PCP) und Lindan enthielten, Dichtungsmassen auf der Basis von polychlorierten Biphenylen (PCB), Ausga-sungen über Wochen und Monate in Innenräumen von Formaldehyd aus Einrichtungsgegenständen oder etwa Textil- und Teppichbehandlungen mit Pyrethroiden, die Menschen mehr schaden als Motten und Insekten, die sie vertreiben sollen.(6)


Dies alles ist zusätzlich verbunden mit Sondermüll und Entsorgungsproblemen, an denen der Baubereich mit einem großen Anteil beteiligt ist. Es gehört zur Aufgabe und Verantwortung der Innenarchitekten mit der Erkennung, Bestimmung und kompetenter Anwendung von umwelt- und menschverträglichen Technologien und Produkten zur Verbesserung und Gesundsanierung der aktuell problematischen Innenraumsituation zu kontribuieren.


Umweltethische Bildung ist nicht angeboren


In unserer anthropozentrisch orientierten Gesellschaft, in der umweltethische Bildung nicht angeboren sondern ausschließlich angelernt ist, bedeutet das wichtigste Instrument kreativen und technischen Schaffens eine interdisziplinär ausgerichtete Ausbildung.


Was das Berufsbild der Innenarchitekten anbelangt, geht die didaktische Forderung an Universitäten, Fachschulen, Architekten- und Handwerkskammern. Es ist ihre Aufgabe, für die Gegenwart und Zukunft interdisziplinär orientierte Lehrprogramme zu entwickeln, die sowohl auf technische und gestalterische als auch auf umweltmedizinische und sozialpolitische Erfordernis-se eingehen.


Dies bedeutet eine große Herausforderung für Innenarchitekten, die sich nun mit dem Wissen komplexer Zusammenhänge und folglich den Konsequenzen ihres gestalterischen Schaffens auseinandersetzen müssen.


Die moderne Innenarchitektur ist spannend, innovativ und beantwortet, was mit moderner Technik möglich und zugleich umwelt- und menschverträglich ist.

Birgitt Becker

(1) B.Becker: Form and function follows sustainability, 1996, Konferenz “Architettura Bioecologica e Design Ambientale”, San Michele, Rom;


(2) Verdorbener Geschmack: Kritik von John Ruskin (1819-1900), Schriftsteller, Refor-mist,Sozialreformer und Maler und William Morris (1834-1896), Sozialpolitiker, später auch Designer und Handwerker;


(3) Less is more, weniger ist mehr: Zitat von Mies van der Rohe (1886-1917), Architekt, er appelierte an die Idee des Minimalismus;


(4) 50 % aller chronischen Erkrankungen, auch des Krebses, sind auf die kranke Umwelt zurück zu führen; Vortrag 2006 “Umweltmedizin– Baubiologie – Eine notwendige Symbiose” Prof. Dr. Volker Zahn, Umweltmediziner; s..a. Institut für Baubiologie + Ökologie – IBN, Prof. Anton Schneider, Neubeuern;


(5) Neue Krankheitsbilder werden beschrieben: Multiple Chemical Sensitivity (MCS), Sick building syndrom, Fybromyalgie, Chronic Fatigue Syndrom): Vortrag Oktober 2004 Centre de la Ville et de l’Architecture, Brüssel, Ralph Baden, Gesundheitsministerium Luxemburg;


(6) Ambiente-Uomo-Casa: Birgitt Becker, Mon-teleone Editore, Vibo Valentia, 1996 und Bauen-Wohnen-Leben, Verlag ecokreis, 2002, ISBN 3-9807772-0-0.